Guten Morgen, du Schöne & He, du Glückliche!

»Seelisch bin ich eigentlich reif für den Strich.« (S.73)

stellt Ruth, 22, Serviererin und Mutter im 1977 veröffentlichten und in der DDR sehr erfolgreichen dokumentarischen Werk »Guten Morgen, du Schöne« fest. Sie ist alleinerziehend, will keinen Mann an ihrer Seite außer zum Sex und hat einen seelischen Knacks, wie sie selbst sagt. Ruth ist wütend, verzweifelt, resigniert. »Warten auf ein Wunder«, wie passend doch der Titel ihres Kapitels erscheint. Denn das kann es doch noch nicht gewesen sein, das Leben.

45962»Wo bleib denn ich eigentlich bei all diesen Geschichten? Was ist denn nun meins? Ich hab keinen blassen Schimmer. Ich hab so viele Leben kennengelernt, nur meines kenne ich noch immer nicht.« (S.78)

Ruth ist eine von 19 Frauen verschiedensten Alters und sozialen Hintergrunds, die Maxie Wander vor über 40 Jahren zu ihrem Leben in der DDR, ihrem Alltag, ihren Träumen, ihren Meinungen befragte und in »Guten Morgen, du Schöne« zu Wort kommen ließ. Es geht vor allem um den Wunsch nach Selbstverwirklichung, um Emanzipation, um neue Wege. In ihrer Vorbemerkung erklärt Wander:

»Nicht gegen Männer können wir uns emanzipieren, sondern nur in der Auseinandersetzung mit ihnen. Geht es uns doch um die Loslösung von Geschlechterrollen, um die menschliche Emanzipation überhaupt« (S.9)

Die Sekretärin Rosa etwa nennt ihren Chef einen Affen, weil er den Mann für das intelligente Geschlecht hält und stellt fest: »Da habe ich gerade durchs Fernsehen vernommen, welche Eigenschaften für uns Frauen typisch sein sollen, das haben westliche Wissenschaftler entdeckt: Passivität, Abhängigkeit, Konformismus, Ängstlichkeit, Nervosität, Narzißmus, Gehorsam. Ich bin also ein Mann, dem nur das Stückchen Schwanz fehlt« (S.35). Ebenso fühlt die 16-jährige Susanne: »Die Lehrer sagen manchmal so einen Unsinn: Die Mädchen müssen ein Vorbild für die Jungs sein, immer brav, nie frech, nie unordentlich, nie laut. Manche Lehrer hinken der Zeit total hinterher« (S.89). Doch nicht alle der befragten Frauen sehen die Zeit der Gleichberechtigung gekommen. Angela, 21, hält das »Gerede von Gleichberechtigung [für] […] blödsinnig. Ernsthaft. Ich glaube nicht, daß sich das verwirklichen läßt. Niemals. Da sind uns schon von Natur bestimmt Grenzen gesetzt« (S.114).

Diese gegenläufigen Meinungen, Lebensentwürfe und Charaktere reiht Wander nebeneinander auf, ohne je eine Wertung vorzunehmen. Es fühlt sich echt und nah an, den Frauen zu lauschen, wenn sie schonungslos ehrlich von ihrem Leben berichten, von fremdgehenden Männern, unbefriedigendem Sex, Bindungsangst und Depressionen, aber auch von Ehegatten, die anstatt ihrer den Haushalt übernehmen, weil sie noch einmal studieren möchten. Die jüngeren Frauen (die jüngsten sind gerade 16) erzählen von ihrem Problem, sich in einer Welt zurechtzufinden, in der das, was sie in der Schule lernen, dem zuhause vermittelten Wissen gegenübersteht. Aber auch erste Erfahrungen mit Jungs und Sexualität, Gedanken über den Tod und das Verhältnis zu Schule und Eltern werden behandelt. Besonders berührt hat mich die Beschreibung des Vaters von der 22-jährigen Ruth:

»Nun lebt er in der Dichtung. […] Der lebt mit unwahrscheinlich vielen Büchern zusammen. So wie meine Tante mit ihren Vögeln. Das, was er in den Büchern findet, das findet er im Leben nicht. Manchmal, manchmal schleiche ich um ihn herum, weil ich es sehen möchte. Aber das ist alles unsichtbar« (S.67)

Die Beiträge lesen sich teilweise fast schon poetisch, auf jeden Fall geordnet und pointiert, was mit der von Wander vorgenommenen Bearbeitung der Interviews zusammenhängen mag, die Christa Wolf im Vorwort erwähnt. »Guten Morgen, du Schöne« war für mich, die ich außerhalb der Schule weder persönlich noch familiär irgendeinen Bezug zum Leben in der DDR habe, eine überaus bereichernde, Gedanken anstoßende und zuweilen berührende Lektüre, die ich wohl ohne das Buch, das nun folgt, nie erfahren hätte.

Denn es war »He, du Glückliche!« von Monika Stenzel und Ulrike Jackwerth, das mich zum Lesen von Maxie Wanders »Klassiker« animierte und das mir freundlicherweise vom Mitteldeutschen Verlag zur Verfügung gestellt wurde. Die Idee der beiden Schauspielerinnen, die Methode Wanders nach 40 Jahren zu wiederholen ist toll und ich frage mich, warum das angesichts des damaligen Erfolgs keinem zuvor eingefallen ist. Diesmal kommen nicht nur 19, sondern sogar 29 Frauen aus der ehemaligen DDR, sowie deren Töchter und Enkelinnen zu Wort. Wie schon in zwei Fällen bei Wander stehen die Interviewten hier zum Teil in familiären Beziehungen zueinander, sodass bis zu drei Generationen einer Familie vertreten sind. »Was ist geblieben von der Frauenrolle im Sozialismus, dem Selbstverständnis und der Selbstständigkeit der vielen werktätigen Mütter, einer anders verstandenen Emanzipation? Wie sind diese Frauen umgegangen mit Wende und Systemwechsel? Wie hat sich ihr Leben und Träumen verändert? Und gibt es noch immer Verbindendes, Gemeinsames zwischen diesen Frauen und Einzelschicksalen in all ihrer Unterschiedlichkeit und Individualität?« (S.5), fragen sich Stenzel und Jackwerth. Antworten dazu liefern die Frauen mal mehr, mal weniger.

Insgesamt ist der Blickwinkel ganz einfach ein anderer als der von Maxie Wander. Während sich die Berichte der Frauen in »Guten Morgen, du Schöne« eher auf ihre aktuelle Lebenssituation in der DDR und ihre Ansichten konzentrierten, blicken die Interviewten in »He, du Glückliche!« vor allem auf ihr Leben zurück und berichten in Kurzbiografien von einschneidenden Erlebnissen. Das Augenmerk liegt weit weniger auf der DDR als erwartet. Es werden durchaus spannende Fluchtgeschichten und die Schikane seitens der Behörden bei angenommenen Ausreiseanträgen wie auch die allgemeinen Möglichkeiten und Grenzen des Lebens in der DDR thematisiert, doch zum Teil nur in wenigen Sätzen in heruntergebrochener Form. Ich hätte mir an dieser Stelle etwas mehr Tiefe und Reflektion gewünscht, wie sie etwa die 77-jährige Hilde anreißt:

»Ich hätte gern Jura und Publizistik studiert. Aber wie soll ein Jurist in einer Diktatur Recht sprechen? Es schien mir unmöglich. Dieser Oststaat reduzierte alle Träume, die man haben konnte.« S.11

An solchen Stellen wurde das Buch spannend, wenn ehemalige Pionierinnen, die mit Leib und Seele das Land verbessern wollten, sich desillusioniert widerfanden, weil Missstände unübersehbar wurden, sei es das Abschieben von Mangelwaren in die Sowjetunion, der Verkauf von Bettwäsche in den Westen, die dort billig verscherbelt wurde, oder das Durschauen der propagierten Lügen über den Westen. Einige Kapitel erschienen mir schlicht hinweg nicht stichhaltig genug, oder zu ähnlich zu anderen, als dass ich ihnen einen Platz in diesem Buch eingeräumt hätte.

Die große Diversität an Charakteren und Meinungen wird hier nicht in einem solchen Maß deutlich, wie Wanders Werk es einst vermochte. Wenn ich nach einem Wort suchen müsste, so würde ich die Grundstimmung in »He, du Glückliche!« am ehesten als friedlicher bzw. zufriedener, einheitlicher beschreiben, während »Guten Morgen, du Schöne« durch das Aufeinanderprallen von kontroversen Aussagen bestach, wenngleich ich einsehe, dass man solche Interviewpartnerinnen ja auch erst einmal finden muss.

Was mich jedoch wiederum begeistern konnte, war die unfassbare Zahl an beruflichen und privaten Neuanfängen, die die Frauen Zeit ihres Lebens durchliefen und mich als jungen Menschen dann doch etwas beruhigt zurückließen, wohingegen das häufige Vorkommen von Scheidungen infolge von fremdgegangenen Partnern mich etwas schockierte, wobei dieses Phänomen auch schon bei Wander auftauchte. Besonders die Geschichte von Doris, deren Mann eine von ihr geduldete Affäre einging, beschäftigte mich nachhaltig. Denn nachdem die Geliebte in den Westen geflohen war, plante der Mann, ihr zu folgen, jedoch ohne seine Frau und sein Kind. Als Doris das herausfand, drohte sie, ihn zu verraten, wenn er sie nicht mitnähme…

Eine weitere Entwicklung, auf die im Rahmen der Heimat-Frage überraschender- und in meinen Augen auch passenderweise mitunter eingegangen wurde, betrifft die aktuelle politische Lage:

»Dresden ist nie meine Stadt gewesen. Die Dresdener waren schon immer sehr eigen, von sich überzeugt. Die wollen nichts abgeben, denken, sie haben alles, wollen nichts Fremdes, keine Fremden. Deshalb ist es folgerichtig, dass diese ganze Pegida-Bewegung von hier ausgeht. Woanders hätte so was nach meiner Meinung nicht entstehen können. Diese Dreckschweine beleidigen die ganze Welt« (S.16)

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Gestaltungstechnisch macht »He, du Glückliche!« einige Dinge besser als sein Vorbild. Ich beziehe mich hierbei vor allem auf die Tatsache, dass neben dem Namen nun auch das Alter der Befragten und ein kurzes, pointiertes Zitat anstatt eines Titels zu Beginn eines jeden Kapitels auftauchen. Bei Wander musste ich stets in das Inhaltsverzeichnis schauen, wenn ich wissen wollte, wie alt die betreffende Person zum jeweiligen Zeitpunkt war. Was ich hingegen als etwas sonderbar, aber nicht weiter störend empfand, war die Tatsache, dass betreffendes Inhaltsverzeichnis in »He, du Glückliche!« erst am Ende des Buches zu finden ist.

Was im direkten Vergleich der Werke weiterhin auffällt, sind das Selbstbewusstsein und die schonungslose Ehrlichkeit, die alle befragten Frauen an den Tag legen. Doch einen Querschnitt der weiblichen DDR-Bevölkerung hatte schon Wander niemals angestrebt. Insofern kann hier keinesfalls von Repräsentativität gesprochen werden. Was mich außerdem interessieren würde, wäre eine männliche Variante dieser Werke, die, wie ich während der Recherche erfuhr, zwar geplant gewesen, durch Wanders frühzeitigen Tod jedoch nicht umgesetzt worden war.

Letztendlich habe ich beide Bücher gern gelesen, wenngleich mir »Guten Morgen, du Schöne« wegen der zeitgeschichtlichen Zeugnisse und der größeren Vielfalt hinsichtlich der Charaktere, Hintergründe und Meinungen besser gefiel, wobei ich mich bei letzteren mitunter doch fragte, wie das Buch in dieser Form durch die Zensur gelangen konnte…

Monika Stenzel/Ulrike Jackwerth | He, du Glückliche! | Mitteldeutscher Verlag | 264 Seiten | Preis:  16,00€ | ISBN 978-3-96311-025-2

Maxie Wander | Guten Morgen, du Schöne | Suhrkamp Verlag | 282 Seiten | 10,00€ | ISBN 978-3-518-45962-1

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