Rabenschwarze Intelligenz

Schon auf den ersten Seiten schildert der Autor anhand von Anekdoten, dass er nahezu sein ganzes Leben mit den »verfremten ›Schwarzen‹« (S.248) verbracht hat, entsprechend spürbar ist auch seine Begeisterung für diese Vögel im gesamten Buch. Eine gute Ausgangslage, könnte man meinen, doch wenn sich Hingabe in blinde Verteufelung des Artenschutzes wandelt, hört bei mir jegliches Verständnis auf. Doch der Reihe nach…

»[A]n einer Dohlenkolonie kann es reichen, einen schwarzen Lappen in die Faust zu nehmen und zu schütteln, dass der Schwarm blitzartig angreift.« S.56

Nachdem Josef H. Reichholf sein Vorwort mit etwas zu ausführlichen und bisweilen fragwürdigen Ausführungen zum Intelligenzbegriff beendet, folgt ein grundlegendes Kapitel über Rabenvögel mit so manch interessantem Fakt. Angefangen bei der zwar langwierigen, doch recht aufschlussreichen Unterscheidung der Arten, denn Krähe ist nicht gleich Krähe – und sie muss noch nicht einmal schwarz sein. Die mitunter vollkommen gegensätzliche Lebensweise wie Gedächtniskapazität überraschten mich auch in weiteren Kapiteln noch das ein oder andere Mal. Weiterhin wird die Ernährung von Krähen thematisiert, welche gern plump als Allesfresser bezeichnet werden, jedoch weit wählerischer und vor allem dem Menschen näher bei ihrer Nahrungsaufnahme sind, als man meinen könnte. Ein spannender Aspekt, der immer wieder in verschiedenen Zusammenhängen aufgegriffen wird, ist die (meist) schwarze Farbe der Rabenvögel, die nach heutigem Erkenntnisstand wohl darauf zurückzuführen ist, dass schwarz gefiederte Vögel aus unerfindlichen Gründen schlechter schmecken als andere…

Es folgen etwa 40 Seiten mit persönlichen Erfahrungen des Autors im Umgang mit aufgezogenen Krähen. Die hier beschriebenen Situationen und beobachteten Verhaltensweisen waren sehr aufschlussreich und genau das, was ich mir von dem Buch erhofft hatte – aber eben nur 40 Seiten lang. Danach erwarten einen über 100 Seiten ausgedehnte Beschreibungen und Zahlen zur Verbreitung und Populationsentwicklung. Ironischerweise schlägt Reichholf an einer Stelle sogar vor, man könne das Folgende ja auch überspringen… In den beiden abschließenden Kapiteln wird sich schließlich wieder auf das Thema der rabenschwarzen Intelligenz besonnen und kurz die Rolle von Krähen in der Mythologie beleuchtet, wobei die angeführten Beispiele zu Walnuss knackenden und Kleiderbügelnester bauenden Krähen, wenn auch hier etwas ausführlicher dargestellt, recht bekannt sind.

Aus diesem Grunde konnten neue Verhaltensweisen wie etwa das Aufspießen von Käferlarven mittels eines zurechtgebogenen Drahts, das Anschließen einer Dritten Krähe zu einem Paar als »Helfer«, Fremdgehgeschichten und beeindruckende 200.000 bis 300.000 Eicheln, die 35 bis 40 Eichelhäher für den Winter verstecken können, meiner Enttäuschung leider keinen Abbruch verleihen. Es fehlte mir schlicht an Beobachtungen zum intelligenten Verhalten von Krähen, vor allem im Hinblick auf die freie Natur. In diesem Sinne ist »Rabenschwarze Intelligenz. Was wir von Krähen lernen können« zweifellos ein irreführender Titel, der wohl wie auch der Klappentext weniger dem Autor, denn der Marketingabeitung des Verlages zuzuschreiben ist. Insofern rate ich den Interessierten (generell bei populärwissenschaftlichen Büchern) bei Interesse dringend zu einem näheren Blick ins Inhaltsverzeichnis.

Kommen wir nun zu meiner bereits angedeuteten Frustration, die gewisser penetranter Äußerungen des Autors wegen in mir erwuchs…

Josef H. Reichholfs erklärtes Ziel ist es, die Menschen über seine Lieblinge aufzuklären und die jahrhundertelang geschürte Abneigung gegen diese Tiere zu mindern. Ein großer Dorn im Auge sind ihm dabei die Jäger, sodass er anhand der Ergebnisse eines sechsjährigen Großversuches zum Totalabschuss von »Raubwild und Raubzeug« zwecks des Schutzes von Niederwild und Singvögeln (zu denen die Krähen eigentlich gehören) fundiert erläutert, warum die Jagd auf Krähen keinen Sinn macht.

So weit so gut, doch gleichzeitig stürzt er sich auf Naturschützer, denen die Krähen angeblich am Arsch vorbeigingen und die es durch »völlig ungerechtfertigte[] und überzogene[] Bestimmungen des Artenschutzes fast ausnahmslos allen an der Haltung von Rabenvögeln Interessierten [verwehrten], ähnliche Erfahrungen mit der Intelligenz dieser Vögel selbst zu machen.« (S.52) Er wettert gegen die »notorischen Zweifler« (S.81), den »Pseudoschutz« (S.248), spricht von »artgerechter Tierhaltung« (S.80) und das gefühlt auf jeder Seite.

»Seit Jahren müssen sich die Leitungen der Zoos mit den fast immer ungerechtfertigten Vorwürfen ›nicht artgerechter Tierhaltung‹ auseinandersetzen.« (S.80)

Mir, die ich aktiv im Tierschutz bin, wird hier einfach nur schlecht, erst recht angesichts der Tatsache, dass Reichholf laut Autoreninfo Naturschutz an der TU München lehrte. Da braucht es nicht einmal die stets zwischen den Zeilen mitschwingenden Anleitungsschritte zur Aufzucht von Krähen oder die Glorifizierung der USA, in denen derlei Aufzuchts-Experimente erlaubt sind. Entsprechend schließt er das Buch auch mit folgenden Worten ab:

»Es würde für unsere Intelligenz sprechen, unintelligente Regelungen so schnell wie möglich außer Kraft zu setzen. Rabenvögel würden sich nicht so verhalten wie wir.« S.248

Wie ironisch gerade dieser Abschluss wirkt, scheint ihm nicht aufzufallen…

Josef H. Reichholf | Rabenschwarze Intelligenz. Was wir von Krähen lernen können | Piper Verlag | 256 Seiten | Preis:  11,00€  |  EAN 978-3-492-25915-6 

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