So stirbt man also

Der Tod ist ein Thema, dem viele Menschen möglichst aus dem Weg gehen. Zu unbequem, zu belastend, zu aussichtslos erscheint die Beschäftigung mit dem, was uns alle am Ende erwartet. Nun, ich gehöre nicht zu diesen Menschen. Mit 15 hatte ich meine Patientenverfügung verfasst, einen Organspendeausweis im Portemonnaie platziert und meine Beerdigung geplant – und das nicht, weil ich meinen baldigen Tod erwartete. Seither ist mein »Ich bin dann mal weg«-Ordner um eine Patientenverfügung, Hinweise zur legalen Aus- und (Wieder)Einfuhr meiner Asche (zwecks Umgehen des Friedhofszwangs) und einige Beerdigungslieder reicher geworden. Der Tod ist kein Thema, das ich fürchte, vielmehr fasziniert mich so ziemlich alles, was den Umgang des Menschen damit betrifft:

Wie wir Religionen erfanden, weil der Tod sich unserer Vorstellungskraft entzieht; wie wir mit der Wahl unserer Kleidungsfarbe Trauer kommunizieren, violett in Thailand, rot in Ghana, gelb in Ägypten, schwarz in Europa und Amerika; wie wir so sehr am Leben hängen, dass wir die Unsterblichkeit hunderte Jahre in der Zukunft suchen, uns einfrieren lassen in der Hoffnung auf neue Heilmethoden; wie wir unsere Träume selbst nach dem Tod weiterverfolgen, indem wir unsere Asche auf eine Reise in die Atmosphäre schicken; ja, wie wichtig es uns ist, bis zum Schluss die Kontrolle zu behalten…

»So stirbt man also« heißt das erstmals 2013 erschienene und nun vom Goldmann Verlag neu aufgelegte Buch, das mich in den vergangenen Wochen auf meinen täglichen Bahnfahrten begleitete und mir – ja, es handelt sich hierbei nicht um Ironie – viel Freude bereitete. Auf 374 Seiten und in nahezu ebenso vielen wunderbar kurzweiligen, knackigen Kapiteln widmet es sich sämtlichen mal naheliegenden, mal vollkommen neuen, ja mitunter absurden Aspekten des Todes. Und das auf durch und durch sachliche, verschiedene Perspektiven einbeziehende und aufgrund der Themenwahl nicht selten humorvolle Art. Was Marc Ritter und Tom Ising hier geschaffen haben, ist allein durch die Herangehensweise eines der besten Sachbücher, das ich je gelesen habe.

Die Idee, sich der Sache durch übergeordnete Themenbereiche anzunähern (»Der Tod und der Geist«, »…der Körper«, »…das Recht«, »…der Glaube«, »…das Geschäft«, »…die Gesellschaft« und »…das Leben«) und die Beiträge kurz, informationsgeladen, dabei jedoch niedrigschwellig zu halten und sie mit zahlreichen Illustrationen, Fotos, Tabellen, Listen, Aufzählungen und Diagrammen anzureichern, sodass ein abwechslungsreiches, ja, spaßiges Leseerlebnis entsteht, ist schlicht hinweg genial. Das Buch ist eine sinnige Gesamtkomposition, die Beiträge wohl platziert – leichtere, vielleicht auch humorvolle Themen folgen auf schwere Aspekte – und laden dadurch zum weiterlesen ein. Gerade die Menschen, die sich vor einer Auseinandersetzung mit dem Tod scheuen, können hier gefahrlos zugreifen, es gibt wahnsinnig viel zu entdecken:

von Synonymen für »Sterben« über Redewendungen; Interviews; Ausfüllformulare und Checklisten (etwa für hilflose Hinterbliebene nach dem Tod von Angehörigen); herrliche Geschichten über letzte Worte, legendäre Grabreden und Friedhofsdiebstähle; Kritik am deutschen Organspendesystem; die durch und durch sachliche und hochinteressante Beschreibung, was genau bei verschiedensten Todesursachen im Körper passiert (ich muss zugeben, gerade durch die sachliche Schilderung machte sich hier an einer Stelle mein Problem, eigenes Blut zu sehen bzw. es mir allein vorzustellen, bemerkbar und ich schwankte leicht erblasst durch die Bahn…), die vielfältigen und verblüffenden Wege der Mumifizierung; Statistiken zu den Top-Todesursachen, den tödlichsten Monaten und Ländern; die Feststellung, dass der Mensch einen Materialwert von ca. 120 € hat; die Aufklärung des Mythos‘, das Haare und Nägel nach dem Tod weiterwachsen.

Wir lernen die neuesten Trends in der Bestattungsindustrie kennen, von HSV-Fans, die in einer Art Stadion begraben werden können, bis hin Sargbausätzen und Grab-Sharing; das Wissen darum, dass erst 1954 das letzte Fallbeil in der BRD einen Kopf abtrennte und in der DDR bis 1981 Todesurteile verhängt wurden; wir erfahren, warum Herzschrittmacher vor der Kremierung dringendst entfernt werden sollten und warum man bei der Bestattungsunternehmenswahl nicht knauserig sein sollte. Es gibt Listen über die beliebtesten Beerdigungslieder; Texte zu neuen Ansätzen zum ewigen Leben und Berichte über die diebischen Kapuzinermönche Roms, die zur Verzierung ihrer Krypten nicht davor zurückschreckten, die Gebeine ihrer Brüder von andernorts einführen zu lassen, weil die eigenen Knochen für die Altare, Kerzenleuchter und sonstigen Knochenmöbel nicht ausreichten…

Der Tod ist Thema, das viel zu groß ist, als dass es in einem Buch abgehandelt werden könnte. Doch Ritter und Ising vollbringen mit »So stirbt man also« eine vielschichtige Auseinandersetzung, eine Übersicht, gespickt mit Aspekten, die überraschen und begeistern. Allein die mitunter schwierige Unterscheidbarkeit der Grautöne bei Diagrammen sowie die Tatsache, dass diese Neuauflage nach immerhin sechs Jahren nicht wenigstens in den Statistiken mit neuen Zahlen versehen und überarbeitet wurde, enttäuscht. Darum sei jedem, erst recht denjenigen, die vor der Auseinandersetzung zurückschrecken, diese Lektüre empfohlen, man wird zweifelsohne klüger und entspannter daraus hervorgehen! 

Herzlichen Dank an den Goldmann Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemlars!

Marc Ritter, Tom Ising | So stirbt man also | Goldmann Verlag | 384 Seiten | 10,00 € | ISBN 978-3-442-15999-4

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