Vicious

Man mixe einen Klappentext, der eine düstere Rache-Superhelden-Geschichte verspricht, ein originelles Cover und einen Bookstagram-Hype mit dem Prädikat »New York Times Bestseller« sowie der durch die »Weltenwanderer«-Trilogie wenn auch nicht überragend, doch recht wohlwollend im Gedächtnis gebliebenen Autorin V. E. Schwab – so erhalte man…

  1. mich, die ich mir spontan in der Buchhandlung denke: »Ach, da kann man ja nichts falsch machen« und
  2. mich, eine Woche später, die ich um die 16,99€ trauere und diese Rezension kopfschüttelnd mit einem Wort beschließen kann. Enttäuschend.

Zwei Medizinstudenten, Eli und Victor, ihre Wohnung: gepflastert mit Jobangeboten (denn natürlich reißt sich alle Welt noch vor ihrem Abschluss um diese beiden 22-jährigen Genies *hust*). Sie sind einander Mitbewohner wie Konkurrenz, in fachlicher wie sozialer Hinsicht – eine toxische Beziehung, schon bevor die Ereignisse rund um Elis Abschlussarbeit ihren Lauf nehmen. Denn sein Thema sind EOs, ExtraOrdinäre, Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten, ein großes Gerücht, nur ein Gerücht, aber eines, das sich hartnäckig hält. Als Eli die Ursache für die besonderen Kräfte in Nahtoderfahrungen ausgemacht haben will (wohlgemerkt ohne je einem EO begegnet zu sein, allein auf Grundlage theoretischer Überlegungen), beschließen die beiden (angeblich intelligenten) Studenten, die Hypothese zu überprüfen – an sich selbst. Doch als die Versuche von Erfolg gekrönt sind, wird klar, dass alles einen Preis hat und beide finden sich auf gegensätzlichen Seiten wieder. Dann: Zeitsprung. 10 Jahre später. Victor bricht aus dem Gefängnis aus. Und er hat nur ein Ziel: Eli leiden zu sehen.

Der Roman spielt (vornehmlich aus Victors Sicht) auf den beschriebenen zwei Zeitebenen, die sich insbesondere in den ersten zwei Dritteln verlässlich abwechseln, stetig zielend auf das Warum?Doch durch einige Längen und Redundanzen bleibt der damit beabsichtigte Spannungsbogen flach, zumindest, bis im letzten Drittel die Gegenwartskapitel überwiegen und der Showdown eingeleitet wird. Eine Gewichtung, die ich mir umgekehrt gewünscht hätte. Anstatt die Vorgeschichte mühsam in die Länge zu ziehen, hätte Schwab besser in das Ausfeilen ihres Hauptstranges investiert, der langweilig geradlinig und ohne Überraschungen ausklingt. Besonders ärgerlich ist die Tatsache, dass eben jene Auflösung, jener Racheakt, der Victors Gedanken während seines jahrelangen Gefängnisaufenthaltes bestimmte und den er dementsprechend neben seinem Ausbruch minutiös geplant haben dürfte, vollkommen von zufälligen Faktoren (neuen Charakteren und Fähigkeiten, die passenderweise seinen Weg kreuzen) bestimmt wird.

Schwab setzt allgemein auffallend viel auf Zufall bzw. Schicksal, was mich frustriert, denn das Genre Fantasy bzw. »Superheldenroman« befreit vor Realismus und Logik in dieser Welt nicht. Um ein paar Beispiele zu nennen: Ein 12-jähriges, ziellos umher streifendes Mädchen gelangt ungesehen in die Pathologie eines Krankenhauses. Ein Hacker, der gerade erst aus dem Gefängnis geflohen ist, knackt nicht nur das örtliche Polizeisystem, sondern programmiert auch ein vollkommen neues Suchraster und wertet es nebenbei aus – und das innerhalb weniger Stunden. Zwei Studenten, die sich erst vergleichsweise kurz mit dem Thema beschäftigt haben, sind schlauer als der Rest der Menschheit und beschließen trotz ihrer Intelligenz ohne handfeste Beweise, sich einfach mal umzubringen und erlangen dann auch noch fast schon reibungslos Superkräfte.

Wenn es allein an der Nahtoderfahrung hinge, müssten haufenweise EOs durch Schwabs Welt rennen. Und ein wenig Hindernisse hätte sie den beiden bei ihren Experimenten ruhig in den Weg legen können. Alles erscheint mir zu schnell, zu kurz, zu oberflächlich gedacht – von der nebenstrangarmen Story bis hin zu den Charakteren. Und das sind gar nicht mal viele: Neben Eli und Victor lediglich vier »größere« Nebencharaktere. Platz für Ausarbeitungen hätte es also zur Genüge gegeben – nur fand der keine Beachtung.

Fast schon schäme ich mich für die unbefriedigende Charakterzeichnung der beiden Protagonisten. Egozentrisch, gefühlskalt, konkurrenzbesessen und ein Stück weit wahnsinnig erscheinen sie den LeserInnen, die Hintergründe werden marginal beschrieben, dafür jedoch ihre ganze Persönlichkeit auf diese unbekannte Vergangenheit geschoben. Doch nicht nur die Skizzierung der Charaktere, sondern auch deren Entwicklung gestaltet sich als problematisch, etwa wenn Eli sich von 0 auf 100 zum Schützer der Menschheit durch Gottes Gnaden erklärt und als religiöser Fanatiker mordend durch die Gegend spaziert. Haltbare Motive, glaubwürdige Gefühle aus den Figuren heraus sucht man als LeserIn vergeblich. Als Sympathieträger – denn Eli und Victor bedienen in ihrem egozentrischen Wahn diese Funktion schwerlich – dienen ein junges Mädchen, Sydney, das Tote zurück ins Leben zurückholen kann und Mitch, tattoowierter Schrank und Hacker sowie Victors ehemaliger Zellengenosse. Doch auch ihrem Antrieb und Emotionen hätten gerade an Scheitelpunkten ein paar zusätzliche Worte gut getan.

Es wird wohl zur Genüge deutlich geworden sein: Bis auf den Schreibstil, die Grundidee und ein, zwei tolle Einfälle (etwa die Angewohnheit Victors, Zeile für Zeile in Büchern zu schwärzen und einzig bestimmte Worte oder Wortbestandteile stehen zu lassen, die neue Sätze offenbaren) vermag ich nicht viel lobenswertes an dem Buch zu entdecken. Mehr als einmal beschlich mich das Gefühl, die Autorin hätte ein Pinterest-Board für die Geschichte erstellt und sie um zwei, drei epische Bilder herum gebaut (ein schräges Team, bestehend aus dem eleganten Victor mit seinem schlohweißen Haar, Mitch, dem tattoowierten Schrank und Sydney mit ihren bunten Strumpfhosen; Victor und das Mädchen Gräber schaufelnd auf dem Friedhof; zwei ehemalige Freunde, die einander umbringen wollen). Ja, derart oberflächlich und wenig komplex erschien mir die Story, dass ich von einem ersten Entwurf sprechen würde, einem lieblos hingeworfenen Entwurf wohlgemerkt. Denn dass V. E. Schwab es besser kann, wissen wir…

V. E. Schwab | Vicious | Aus dem Amerikanischen von Petra Huber und Sara Riffel | Fischer Tor | 400 Seiten | 16,99 € | ISBN 978-3-596-70503-0

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